Fritz Zwicky und das dümmste Volk

Beim Gespräch mit Martin Heumos behauptete Prof. Fritz Zwicky genüsslich:
"Wir Schweizer sind das dümmste Volk der Welt"
(Erschienen in: Schweizer Illustrierte, sie + Er, Nr. 7, 12. Februar 1973, S. 10-11.)

Prof. Dr. Fritz Zwicky feiert am 14. Februar den 75. Geburtstag. Und vor kurzem verlieh ihm die britische Royal Astronomical Society die Goldmedaille, die Parallelauszeichnung zum Nobelpreis. Ein doppelter Anlass, ihn in seinem Schweizer Domizil, dem Tscharner-Schloss in Gümligen BE, zu besuchen und auszufragen.

Sie leben in den Vereinigten Staaten. Da wird Ihr Geburtstag, der 14. Februar, besonders gefeiert ...

Es ist der Valentinstag, an dem man "seiner Lieben gedenkt" wie es so schön heisst. Ich hätte an keinem dümmeren Datum Geburtstag haben können - ich bin nämlich kein lieber Mensch. Übrigens, wenn Sie schon von Geburtstagen reden - vergessen Sie nicht, dass am 19. Februar der 500. Geburtstag von Kopernikus ist. Dessen sollte man gebührend gedenken. Meinen eigenen zu feiern, besorge ich selbst, und das heuer besonders - seit vielen Jahren erlebe ich ihn erstmals wieder hier in der Schweiz.

Sie gelten als kontroverser Gelehrter, als angriffiger, streitlustiger Mann.

Wahrscheinlich nicht zu Unrecht. Eine meiner Aufzeichnungen ber von mir entdeckte Galaxien widmete ich meinen Fachkollegen, die ich dabei als "Hohepriester" apostrophierte ... ... und es gab hie und da auch ein paar Kontroversen. Etwa, als ich das Buch schrieb, jeder Mensch sei ein Genie. Oder als ich die These entwickelte, mittels Atomkraft die Sonne zu verschieben und damit unser Planetensystem ,umzubauen'.

Man sieht es seinem Schmunzeln an, dass es ihm Spass macht, die Mitmenschen ein bisschen zu zwicken.

Eine Ihrer Lebensarbeiten war der Bau der Teleskope auf der Mount-Palomar-Sternwarte ...

Ich begann damit 1927, baute das erste Grossteleskop; es war eines der erfolgreichsten der Weltgeschichte. Später folgten noch grössere. Pro Jahr arbeitete ich im Durchschnitt 85 Nächte daran, total einen Drittel meines Lebens.
Das ist auch ein Grund, weshalb ich nicht in die Schweiz zurückkehre. Ich investierte dort zuviel von mir, von meiner Arbeit. Hier hätte ich nichts, drüben aber habe ich ein absolutes Verfügungsrecht über die Teleskope auf Lebenszeit.

Sie lehrten daneben als Professor an der Technischen Hochschule von Kalifornien.

Ja, übrigens waren unter meinen Studenten auch jene Chinesen, die später daheim ihre eigene Atombombe entwickelten.

Während des Krieges hatten Sie, glaube ich, besondere Funktionen?

Man zog mich zur Kernenergieforschung für die Raumfahrt bei. Später, 1945, schickte mich die Regierung nach Deutschland, wo ich Experten, unter ihnen auch Wernher von Braun, für die USA "anworb". Ich war auch der erste in Hiroshima, arbeitete dort mit General Douglas MacArthur zusammen und verfasste einen Bericht über die Schäden der Bombe und deren mögliche Abwehrmittel. Das Buch war geheimer als geheim. Eigentlich hätte ich selbst es nicht einmal lesen dürfen ...

Aber Sie bekamen einen Orden.

Von Harry Truman, ja, 1949, den "Freiheitsorden des US-Präsidenten", wie er heisst. Ich war nicht nur der erste Ausländer, der ihn bekam, sondern auch der erste Wissenschafter überhaupt.

Man nennt Sie ein "Universalgenie". Warum eigentlich?

Dreissig Jahre bevor sie tatsächlich entdeckt wurden, sagte ich zum Beispiel die Existenz von superdichten Neutronensternen voraus. Ich entdeckte auch eine grosse Anzahl von Galaxien, Sternensystemen ausserhalb der Milchstrasse. Schliesslich schoss ich als erster westlicher Wissenschafter zwölf Tage nach dem russischen Sputnik I eine Nutzlast ins All. Das war im Oktober 1957.

Wenn er von seinen Erfolgen spricht, klingt es so nebensächlich, als sei vom Wetter die Rede.

Etwas ganz anderes - Sie entwickelten auch die Idealverpackung für Milch. Aber noch eine Auszeichnung, die Sie eben erhielten, ist ...

... die Goldmedaille der britischen "Royal Astronomical Society"; sie ist ein Äquivalent zum Nobelpreis, da der an Astrophysiker nicht verliehen wird.

Ich hörte etwas von einer künftigen Zwicky-Stiftung.

Die Gründungsurkunde wurde gerade unterzeichnet. Meine eigenen 15 Bücher, daneben aber ein paar Tausend andere, die kostbar sind, sollen künftig in dieser Glarner Zwicky-Stiftung untergebracht werden. Dass heisst aber nicht, dass ich mich jetzt aufs Altenteil zurckziehe!

Haben Sie Hobbies?

Hatte. Früher war's das Klettern, in der Schweiz etwa die Eigernordwand, später kamen in Kanada und Alaska ein paar Erstbesteigungen dazu.

Noch etwas Kontroverses. Sie liessen einen Buchtitel rechtlich schützen: "Das dümmste Volk". Wer ist damit gemeint, etwa wir Schweizer?

Er grinst breit und seine diebische Freude Ist offensichtlich, während seine danebensitzende Gattin Margrit entsetzt sagt: Willst du wirklich davon anfangen?

Natürlich sind die Schweizer gemeint. Und das ist ganz einfach: Nicht die Menschen in Bangla Desh sind dumm; denen geht es nur dreckig. Aber ein Volk, das oben ist und alle Möglichkeiten hat - gerade bei dem, also bei uns, gibt's Fremdarbeiterprobleme, Finanz- und Verkehrsmiseren. Die Dümmsten aber sind meine Glarner Landsleute: Sie haben vor gar nicht so langer Zeit die letzte Hexe verbrannt. Das war eine bodenlose Dummheit.

Werden Sie das Buch schreiben?

Ich weiss noch nicht. Ich hab' so viele Pläne, müsste noch 50 Jahre leben können. Im Augenblick schreibe ich an einem Buch über Supernovae, ich habe total deren 94 entdeckt. Für ein anderes Buch habe ich erst einen englischen Titel.

Worum handelt es sich?

Um die Geschichte meines Lebens.

Da darf man wieder auf ein paar Seitenhiebe auf Mitmenschen gefasst sein?

Er hebt die Hand; sein Augenzwinkern sagt alles.

Zur Person
Fritz Zwicky, 180 cm gross, Bürger von Mollis GL.
Von Beruf Sternengucker (Fachausdruck: Astrophysiker).
Lebt seit 47 Jahren in Kalifornien, blieb aber trotzdem nur Schweizer Staatsbürger.
Verheiratet mit einer Bernerin und Vater dreier Töchter.
Zahllose Ehrungen und Auszeichnungen. Gehört zu den 10 berühmtesten lebenden Schweizern berhaupt

[Der Interview-Text enhält mehrere unrichtige Behauptungen; Kommentar dazu in der F. Z. Biographie, S. 563]