Stichworte zur Morphologie
Ansätze  (Ganzheitsbetrachtung , Methode , Lebenshaltung)
Beschreibung
Geschichte
Kunstwort


Goethe, Johann Wolfgang von
Burdach, Carl Friedrich
Zwicky, Fritz
Andere Forscher, Gesellschaften und Institutionen

Ansätze
Morphologie umfasst also drei ganz verschiedene Ansätze:

A) Morphologie ist eine Ganzheitsbetrachtung (dynamische Gesamtschau):

  • Sie betrifft Gebilde natürlicher Art (z.B. Gebirge, Kristalle, Pflanzen, Tiere, Biotope, Ökosysteme, Galaxien) wie sozialer und kultureller Art (z.B. Institutionen, Unternehmen, Städte, Kunstwerke)
  • Gestalten sind Ganzheiten
  • die sich entwickeln, wandeln und vergehen
  • die in grosser Vielfalt auftreten
  • die etwas ausdrücken oder darstellen
  • die eine innere Struktur aufweisen
  • die mehr sind als eine Summe
  • die in Beziehungsgefügen stehen.
Es geht darum ein Bild vom Ganzen zu gewinnen, indem man etwas von verschiedenen Seiten und unter verschiedenen Gesichtswinkeln betrachtet und alle Einflussfaktoren und Begrenzungen, direkte und indirekte Wirkungen berücksichtigt, mit dem Ziel die Übersicht zu gewinnen, das Wesen zu erfassen, Muster, Ähnlichkeiten, Funktionen und Zusammenhänge zu sehen. (Beispiel)
 

B) Morphologie ist eine Methode (konzentriertes Problemlösen):

  • Als Denkbewegung beruht sie auf dem Kreis und bedeutet, eine Sache zu Ende denken.
  • Als Ablauf ist sie einem photographischen Zoomen zu vergleichen. Vom Ganzen ausgehend werden Ausschnitte immer genauer untersucht, und das Ergebnis muss wieder ins Ganze eingefügt werden.
  • Hilfsmittel ist ein beharrliches und systematisches Vorgehen nach Tabellen. Im Fortschreiten entstehen neue Ideen.
  • Ziel: Denkfehler vermeiden, Gedanken ordnen, Kreativität stimulieren.
 

C) Morphologie ist eine Lebenshaltung (unaufhörliche Selbst- und Weltgestaltung; soziale Praxis)

  • Dynamische Gebilde beschreiben und verstehen kann nur, wer sich selber beweglich und bildsam erhält.
  • Lernen durch Tun.
  • Nur wer positiv denkt, kann Chancen erkennen und nutzen, von Unvollkommenheiten kreativen Gebrauch machen. 

Damit sinnvolles und ganzheitliches Handeln möglich ist, braucht es eine gute Theorie. Aber alle Theorie nützt nichts, wenn daraus nicht eine energische Praxis folgt. Organisationen, Produkte und Aktivitäten entwickeln und aufbauen ist ein zielbewusstes Gestaltungshandeln.

Ziel:
Aufgaben ökonomisch bewältigen, d.h. Existenzbehauptung,Existenzentfaltung und Selbstdarstellung das in jedem Menschen und Ding steckende Genie (Eigenart, Talent) entdecken und fördern Mitarbeit am Aufbau einer lebenswerten Welt

Grundlagen von Zwickys Morphologie:

  • Kampf gegen Vorurteile, Dogmen, Spekulationen (Empirismus)
  • die Überzeugung, dass jeder eine Chance hat, wenn er sich anstrengt (Individualismus)
  • Handeln mit sozialem Engagement (Pragmatismus)
  • gerichtete Intuition und Systematik

Devise:
Schaue aufs Ganze, bedenke das Ziel, Handle sinnvoll.

Beschreibung (siehe auch Definition)
Morphologie kann folgendermassen definiert werden: Morphologie umfasst den ganzen Menschen. Sie besteht im Denken, Vorgehen und Handeln
  • ohne Vorurteile
  • zielbewusst und
  • in geordneter Form.
Daraus ergibt sich, dass Morphologie betreiben heisst, durch systematisches Vorgehen die Kreativität stimulieren.

Morphologie hilft

  • Ideen finden
  • Chancen erkennen
  • Aufgaben bewältigen.
Daraus ergibt sich, dass Morphologie hilft, Denkfehler und Unterlassungen zu vermeiden.
Ihr Ziel ist die Erkennung und Entfaltung des in jedem Menschen vorhandenen Genies, so dass er ein erfülltes Leben führen kann und in Zusammenarbeit mit andern Menschen zu Problemlösungen fähig wird, die zum Aufbau einer besseren Welt beitragen.
Dieser Herausforderung haben sich Bürger wie Politiker, Funktionäre wie Beamte, Unternehmer wie Mitarbeiter immer wieder aufs neue zu stellen.

Geschichte des Begriffes
Seit 1820 übernahmen in rascher Folge andere Autoren den Begriff "Morphologie", vor allem Botaniker, Zoologen und Mediziner, ferner Geologen.
Um 1850-60 drang der Begriff "Morphologie" auch in die Kristallkunde sowie in die Geschichts- und Sprachwissenschaft ein.
Später kamen Anwendungen in der Erkenntnistheorie (1888) und - in Verbindung mit "Gestalt", "Ganzheit" und "Monismus" - in der Psychologie (1890), in weltanschaulichen Studien (1892/95), in Soziologie (1897/98)und Humanökologie (1899/1926) sowie in der Kulturgeschichte (1898/1918) dazu.
Eine richtige Modewelle war Morphologie in den 20er Jahren.

Kunstwort
Der Begriff "Morphologie" ist ein Kunstwort aus (gr.) "morphé"= Form, Gestalt, Figur und (gr.)  -logie= Lehre, also Lehre von der Gestalt.

Goethe, Johann Wolfgang von
Der Begriff "Morphologie" wurde 1796 von Johann Wolfgang von Goethe in einer Tagebuchaufzeichnung für eine neue Wissenschaft geprägt, die sich mit den Gestaltungsgesetzen der Natur und ihrer Steigerung von einfacher zu immer höherer Formung beschäftigt. Morphologie ist damit nicht dem Gegenstand, sondern nur der Ansicht und der Methode nach eine neue Wissenschaft. Sie "soll die Lehre von der Gestalt, der Bildung und Umbildung der organischen Körper enthalten".
Goethe hat bereits betont: Die Gestalt ist nie etwas Fertiges, Abgeschlossenes, sie ist nicht statisch, sondern vielmehr " ein Bewegliches, ein Werdendes, ein Vergehendes". Daher ist Gestaltenlehre Verwandlunglehre.
Damit wir diese Dynamik erfassen können, müssen auch wir selber beweglich bleiben, uns selbst bilden. In der Betrachtung von Gestalten oder Ganzheiten, ihrem Wandel und ihrer Abfolge, lernen wir, verwandeln wir uns selber.
Ebenfalls hat schon Goethe herausgefunden, dass sich bei der morphologischen Betrachtung und Betätigung kein Widerspruch mit dem bisher Überlieferten ergibt. "Ich brauche nur ein Schema tabellarisch auszubilden, wornach man die einzelnen Erfahrungen folgerecht aufreihen ... konnte."
Als "Ansicht" ist Morphologie demnach eine dynamische Gestaltlehre, als Methode ein systematisches Vorgehen nach Tabellen.

Burdach, Carl Friedrich
Unabhängig von Goethe prägte der Mediziner Carl Friedrich Burdach den Begriff "Morphologie" erstmals in einer Veröffentlichung des Jahres 1800. Seither gebrauchte er das Wort in allen seinen Schriften, fand aber damit keinen Anklang.
Erst mit der Herausgabe des ersten Heftes von Goethes Zeitschrift "Zur Naturwissenschaft überhaupt, besonders zur Morphologie" 1817 und dem im selben Jahr gehaltenen Vortrag Burdachs "Über die Aufgabe der Morphologie" wurden Sache wie Begriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Zwicky, Fritz
Seit etwa 1930 hat der am California Institute of Technology in Pasadena und an den Sternwarten von Mt. Wilson und Palomar tätige Glarner Astrophysiker Prof. Dr. Fritz Zwicky (1898-1974) mit Bezug auf Goethe eine Morphologie mit philosophisch wie kulturell wirksamem Einschlag entwickelt und zwar in drei Hinsichten:
  • Morphologie als Beschreibung kosmischer Strukturen, Gebilde und Vorgänge
  • Morphologie als Methode für Entdeckung und Erfindung, Forschung und Konstruktion, wofür ein ganzes Bündel von einzelnen Methoden entwickelt wurde
  • Morphologie als Erkenntnistheorie, ja als Weltansicht und Lebensweise.
Seit 1940 hat Fritz Zwicky die Morphologie systematisch angewandt und seit 1946 öffentlich in zahlreichen Vorträgen (vor allem in den USA, in Frankreich und in der Schweiz) und Publikationen darüber berichtet.
Am bekanntesten geworden sind seine Vorträge 1956 an der ETH (1959 erschienen als "Morphologische Forschung") sowie die Bücher "Entdecken, Erfinden, Forschen im morphologischen Weltbild" (1966) und "Jeder ein Genie" (1971).
1946 hat Fritz Zwicky seine Methode als "neues philosophisches technisches Prinzip" eingeführt und sie ein Jahr darauf als "wichtigste Methode einer organischen Integration des Wissens" bezeichnet, als "simply an orderly way of looking at things".
Die "geordnete Art" des Vorgehens, der Darstellung aller Möglichkeiten und der Bewertung wird seither auch als "Problemlösungsmethodik" bezeichnet. Im Unterschied zu anderen Methoden, die vorwiegend lineare Abfolgen ergeben, beruht Zwickys Morphologie auf einer immer wieder zu durchlaufenden Kreisbewegung (mit einzelnen Ausgriffen und Rückgriffen), wobei das Ergebnis stets ins Ganze integriert werden muss.
Das morphologische Vorgehen mit seinem Kernstück, dem morphologischen Kasten, ist freilich nicht die einzige von Zwicky entwickelte Methode. Insgesamt sind es etwa 20 verschiedene, die bei weitem noch nicht ausgeschöpft worden sind.

Andere Forscher, Institute und Gesellschaften
Seit 1949 haben auch andere Forscher und Berater nach Zwickys Morphologie gearbeitet:
  • 1955 gründeten Paul Dubach und Hermann Holliger die "Morphologische Gesellschaft Zürich".
  • 1960 wurde von Zwicky und einigen Freunden die internationale "Gesellschaft für morphologische Forschung" in Pasadena gegründet. Sie war bis zum Tod Zwickys 1974 aktiv.
  • 1964 gründete Hermann Holliger das "Morphologische Institut Zürich" (MIZ). Holliger, hat seit 1968 unzählige Aufsätze über "Morphologie" nach Zwicky publiziert (hauptsächlich in der "Industriellen Organisation" des BWI, ETH Zürich). 1973/74 hat er Zwickys Konzept im "Handbuch der Morphologie" wesentlich erweitert. Holliger starb 1989, worauf auch sein Morphologisches Institut schloss.
  • 1973 wurde zur Förderung des Lebenswerkes von Prof. Dr. Fritz Zwicky in Glarus die Fritz-Zwicky-Stiftung gegründet.
  • 1983 ging aus der "Morphologischen Gesellschaft Zürich" die "Allgemeine Morphologische Gesellschaft" hervor. Deren Präsident ist Dr. Peter Copetti.
  • 1990 grĂ¼ndete Arnold Wyler sein Morphologisches Institut.